Umwege machen uns stark.

Der Weg zum Reiterhof Justus

Als wir, Sita und Vassilij, uns überlegten, einen eigenen Reitbetrieb zu gründen, hatten wir keine Ahnung, was auf uns zukommen würde. Wir stellten uns das so einfach vor: ein paar Pferde, ein bisschen Equipment und los geht es!
Nach einigen Plänen und vielen Ideen war nun die Lage das Wichtigste: „Wo wollen wir denn überhaupt hin?“ Wir sahen uns Höfe in und um Hamburg an. Doch die Preise überstiegen unsere Realität bei weitem. Nach kurzer Ratlosigkeit und mit vielen neuen Ideen war die Entscheidung gefallen, in Boltenhagen, wo meine Mutter einen Laden betrieb, einen Freizeitreiterhof zu gründen. Dort gab es Urlauber und die geben bekanntlich gerne Geld für tolle Freizeitbeschäftigungen aus! Das war unsere Chance.
Auf einem zerfallenen LPG-Gelände zogen wir mit vier Ponys und Mira, unserem Hund, ein. Dort durften wir kostenlos unsere Pferde unterstellen. Aber fast alle Scheiben waren zerschlagen, überall lag Schrott, Scherben und Müll. Das sollte nun der Anfang unserer Erfolgsstory sein? Für’s Erste musste es reichen. Wir fanden eine alte Garage in der Mitte des 5 ha großen Geländes, die uns in Größe und Lage zusagte. Ein Wochenende lang wurde nun geräumt, gefegt, und aus Unrat wurden „Zäune“ errichtet, die, wie sich später herausstellte, keine Hütesicherheit hatten! Schon in der dritten Nacht liefen unsere Pferde durch all diese gefährlichen Gebäude. Glücklicherweise taten sie sich nichts!
Unsere Ersparnisse wurden nun in Elektrozaunmaterial, ein bisschen Hafer und Salzlecksteine investiert. Jetzt waren die Pferde wenigstens sicher! Aber woher sollte Heu und Essen für uns und unseren Hund kommen? Am Ende des Geländes war eine Halle, in der Stroh lagerte. Auseinander gefallene Ballen wurden einfach zur Seite geschoben und durften vergammeln. Da unsere finanzielle Lage sehr angespannt war, sahen wir das als Wink des Himmels und versorgten unsere Pferde mit so viel Stroh, dass wir teures Heu sparen konnten. Das war ja mal ein Anfang! Unser Optimismus war groß, unser Vertrauen grenzenlos. Die Zukunft sah toll aus. Wir würden ganz groß herauskommen, das war sicher! Weil wir noch kein Geld verdienten, wohnten wir im Laden meiner Mama – außerhalb der Öffnungszeiten, versteht sich. Und die waren im Sommer lang!
Aber wir hatten ja viel zu tun. Wir malten Werbeschilder und hängten sie auf, verteilten Flyer, boten Ponyreiten im Kurpark an. Wir mussten ja bekannt werden und dafür taten wir alles, was in unserer Macht stand. Das alles hielt uns so auf Trab, dass wir ganz übersahen: es gab schon einen ähnlichen Betrieb, wie unserer einer werden sollte! Und der Betreiber war überhaupt nicht damit einverstanden, sich mit einer Konkurrenz herumzuärgern. Kurzerhand schickte er seine Leute los, all unsere Werbung und Flyer, die wir in Hotels, Ferienwohnungen und Vermittlungszentralen ausgelegt hatten, wieder einzusammeln. Und wir saßen auf unsrer Hochburg des Erfolges und warteten auf Kundschaft!
Wir warteten. Jeder weiß, gegen einen über Generationen gewachsenen Betrieb hat man keine Chance. Aber wir waren naiv und ließen uns nun mal nicht so leicht unterkriegen. Es wurden neue Schilder gemalt, Flyer gedruckt und wir warteten von Neuem. Es sollte schon klappen! Doch irgendetwas lief hier absolut schief. Wir wollten arbeiten und es funktionierte nicht. Meine Mama wurde unruhig, denn sie hatte vorgehabt, uns nur für den Übergang im Laden einzuquartieren. Nun machte es den Anschein, als sollten wir für ewig hier festsitzen! Nachdem wir ein paarmal mit Touristen durch die Pampa geritten waren, war uns dann auch noch klar, dass das sicherlich nicht das war, was wir bis an unser Lebensende tun wollten: weil wir Wert auf guten Umgang mit dem Pferd legten, die „Touris“ aber einfach nur Spaß erwarteten und sich ganz sicher nicht erzählen lassen wollten, wie man das richtig macht. Sie waren schlecht gelaunt und machten keine gute Werbung für uns. Oh ja, das Leben ist nicht leicht.
So verging der Sommer und es änderte sich nichts! Unser Elan schwand und es hätte ein schlechtes Ende genommen, wenn nicht Vassilij mit einer Anzeigenzeitung A-Z und den Worten „Stehen da nicht auch Jobs drin?“ angekommen wäre. Wie gut die Idee war, in der A-Z zu stöbern, sollten wir erst ein paar Tage später feststellen. In der Rubrik „Tiermarkt“ erweckte eine kurze, unscheinbare Anzeige unsere Aufmerksamkeit: „Nachfolger für Ponyhof gesucht.“ Da stand auch noch eine Hamburger Nummer drunter! Schnell war ein Termin gemacht, denn der Ponyhof war tatsächlich noch zu haben. Ein von der Stadt zu pachtender, heruntergekommener Hof, mitten im Meyers-Park in Hamburg-Harburg, mit einem festen Kundenstamm! Was wollten wir mehr? Manchmal werden Träume eben wahr! Einige Ponys konnten wir übernehmen, unsere Zukunft war gesichert. Wochenlang wurde gehämmert, gesägt, gegraben und viel mehr, bis der Hof in unserem Stil, unseren Vorstellungen entsprach.
Die feste Kundschaft war allerdings absolut nicht nach unserem Geschmack. Vierzehnjährige Mädels, die nichts von Pferden und ihrem Wesen verstanden, aber die größte Klappe der Welt hatten und sich nichts sagen lassen wollten. Reitstunde war für sie das stundenlange Galoppieren im Kreis, häufig im Außengalopp, denn davon verstanden sie nichts. Aber sie waren „toll“ und wurden von den Kleineren bewundert.
Man kann sich denken, was geschieht, wenn Sita dann sagt: „So, jetzt werden wir erstmal Reiten lernen!“, die Sättel herunter nimmt, im Schritt Hufschlagfiguren üben lässt und am Schluss noch ein paar Parelli-Spiele am Boden mit langem Führseil erklärt. Das war einfach zuviel! Die Mädchen waren entsetzt. Die einen, weil sie ohne Sattel gar nicht reiten konnten und Angst hatten, die meisten aber, weil „die Frau da in der Mitte ja wohl einen an der Klatsche hat und selber gar keinen Plan!“ Schon nach 14 Tagen waren von den 120 Kindern „fester Kundenstamm“ nur noch 30 da. Aber so nach und nach kamen andere Reitschüler, die sich über geregelte Reitstunden mit Spaß und Pferdeverstand freuten und wir gaben unser Bestes.
Nach eineinhalb Jahren hatten wir 95 feste Reitschüler, und viele Kinder, die am Wochenende für Ausritte zu uns kamen. Wir investierten. Wir kauften Pferde, Inventar wie Pferdeanhänger und Sättel, und auf unserem Konto war immer Geld!
Doch mit der Zeit stellte sich ein neues Problem heraus. Sieben Tage die Woche tagein, tagaus immer nur Reitunterricht geben, wurde langweilig und eintönig. Und die Stadt verbot es, Berittpferde einzustellen, Übernachtungen im Stall oder Kurse für Gastreiter anzubieten. Wir hatten viele Ideen, die nicht realisierbar waren, weil es nicht erlaubt war! So wurde doch der Wunsch nach einem eigenen Hof wieder wach! Außerdem war ich schwanger. Wir fingen wieder an, Höfe anzusehen, Pläne zu schmieden. Doch an der Realität hatte sich nichts geändert: die Preise waren einfach zu hoch.
Die Zeit verging mit vielen Besichtigungen, Hoffnungen, Höhen und Tiefen, Diskussionen und der Angst vor der Zukunft mit einem Kind in einer Situation, in der eigentlich kein Platz für eines war! Doch der Himmel hatte uns nicht im Stich gelassen, und als wir nach vielen sich überschlagenden Ereignissen mit Gefühlsausbrüchen (Verzweiflung, Freude, Wut, Trauer, die Verzweiflung überwog!) wieder zu uns kamen, hatten wir ein kleines Einfamilienhaus mit ein bisschen Land am Rande von Lübeck und in der Nähe einer Waldorfschule gekauft. Unsere inzwischen 25 Ponys standen hier mal wieder in einem improvisierten Auslauf, ohne Stall und Weide. Wir fingen an zu bauen – das wie vielte Mal? Einen Anbindebalken eingraben, eine Sattelkammer einrichten, die Reitbahn abschreiten und abstecken, Futterraufen bauen, all das war nichts Neues für uns. Dennoch ging uns die Arbeit viel leichter von der Hand, denn wir wussten: das bauen wir für uns.
Wir fingen endlich wirklich an, unseren Traum zu verwirklichen. Anfangs hatten wir keine Kundschaft und niemand hatte für uns vorgearbeitet. Wir waren auf uns allein gestellt. Von Neuem druckten wir Flyer und malten Schilder – diesmal entferrnte sie keiner. Schneller als je zuvor kamen Reitschüler und Menschen, die an der Art, wie wir mit Pferden arbeiteten, interessiert waren. Wir konnten jede Idee ausprobieren, und auch wenn nicht jede erfolgreich war, blieben wir unseren Prinzipien treu. Wir bekamen ein zweites Kind. Inzwischen boten wir Reitstunden, Ausritte, Wanderritte, Kurse, Ferienwochen, Pferdeausbildung, Kutschfahrten, Hufbeschlag, Verladetraining und vieles mehr an. Wir hatten eine Reithalle gebaut, Land gepachtet, einige Einsteller und einen festen Kundenstamm gewonnen. Unsere Arbeit war weder langweilig noch eintönig, wir waren glücklich und dankbar, dass alles so gekommen war.
Und dann kam sie… die Veränderung, die in vielen Fällen alles über den Haufen wirft. Ich trennte mich von Vassilij und seit November 2012 organisiere ich den Hof alleine.
Ich schreibe nun schon das Jahr 2017… seit mehr als vier Jahren lebe ich nun mit meinen drei Kindern allein und wir sind glücklich. Ich sehe mit Zuversicht auf das, was noch kommen wird. Auch wenn sich um mich herum Dinge ändern, ich bin hier, denn hier ist mein Zuhause und hier werde ich weiterhin meinen Traum verwirklichen. Mein Leben ist ein Ponyhof!
Schau dir an, was ich hier auf die Beine gestellt habe und besuche mich auf meinem Hof.